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28.04.2022

Energieabhängigkeit Deutschlands vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Rohstoffmärkte in den letzten Wochen durcheinander gewirbelt und zu einem spürbaren Preisanstieg bei Gas- oder Ölprodukten geführt. Grund sind insbesondere Versorgungsängste und Schwankungen an den Märkten, die seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die Energiepreise ansteigen lassen.

 

"Der Druck auf die Strom- und Gaspreise ist aufgrund des Krieges in der Ukraine enorm", erklärt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Hintergrund der aktuellen Preissteigerungen sind also vorrangig Spekulationen, denn seit dem russischen Angriffskrieg herrscht die Angst vor Lieferengpässen bei fossilen Energieträgern wie Öl, Erdgas oder Kohle. Entsprechende öffentliche Diskussionen rund um ein mögliches Embargo von russischem Gas und Öl unterstützen diesen Effekt noch einmal.

 

Dabei ist die in den letzten Jahren herbeigeführte Abhängigkeit Deutschlands von Russlands Energieträgern substanziell. Rund die Hälfte der Importe von Erdgas und Kohle in Deutschland gehen auf russischen Ursprung zurück - bei Öl liegt dieser Anteil bei rund einem Drittel. Der Anteil russischen Erdgases am nationalen Gasverbrauch lag 2020 bei 55 Prozent - im zweiten Halbjahr 2021 und insbesondere in den ersten Monaten im Jahr 2022 haben Gasimporte aus Russland aber bereits abgenommen. Dies zeigt sich auch in der gesamten EU, in der der Anteil der russischen Gasimporte von etwa 40 Prozent auf inzwischen 20 - 30 Prozent gefallen sind.

 
 
 

Dennoch muss mit Blick in die jüngere Vergangenheit festgehalten werden: Kein anderes Land der Erde nimmt bisher so viel Erdgas aus russischer Förderung ab wie Deutschland. Laut Angaben der internationalen Umweltorganisation Greenpeace könnte der Importwert für Erdgas aufgrund der enorm gestiegenen Gaspreise auch 2022 noch bei 17,6 Milliarden Euro liegen. Das wäre eine Verdopplung im Vergleich zu dem Betrag von 8,8 Milliarden Euro, die Deutschland russischen Firmen 2021 überwiesen hat. Rechnet man den Gegenwert an russischen Öl-Importen hinzu, würden damit in diesem Jahr fast 32 Milliarden Euro aus Deutschland nach Russland überwiesen werden müssen. Das entspricht rechnerisch ca. 53 Prozent des russischen Militärhaushalts des Jahres 2021 von insgesamt rund 60 Milliarden Euro. In dieses düstere Bild passt die Aussage von Lucie Béraud-Sudreau des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri nach der wohl auch zuletzt hohe Öl- und Gas-Einnahmen Russland geholfen haben, seine Militärausgaben 2021 zu steigern.

 

Interessant ist hierbei eine Verlautbarung von Greenpeace, die die Auswirkungen eines Energieembargos auf die beiden Volkswirtschaften Russland und Deutschland skizziert. Das NGO zitiert in einer kürzlich veröffentlichten Analyse eine Studie des internationalen Bankenverbandes IIF, nach der die Wachstumskosten eines Embargos in Deutschland zwischen drei und sechs Prozent lägen, in Russland jedoch bei rund 30 %. Bekannt ist weiterhin: Öl- und Gaslieferungen machten zusammen rund 60 Prozent der russischen Exporterlöse und 40 Prozent des russischen Staatsbudgets im Jahr 2021 aus.

 

Spätestens jetzt stellt sich also die Frage, welche Möglichkeiten auch die Bundesregierung hat, die nationale Energieversorgung mit russischen Energieträgern weiter zu beschränken, um kurzfristigen Handlungsdruck auf Seiten Russlands zu erzeugen.

 
 
 

Zunächst einmal wird die vollständige Substitution russischer Öl- und Kohleimporte wahrscheinlich kein unlösbares Problem darstellen. Von anderen öl- und kohleexportierenden Ländern sind genügend Weltmarktkapazitäten vorhanden, um das Defizit auszugleichen.

 

Die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdöl ist bereits bis März von 35 auf 25 Prozent gesunken und soll nach Aussagen des Wirtschaftsministeriums zudem bis spätestens zum Ende des Jahres aufgelöst worden sein. In einer am Montag dieser Woche abgehaltenen Pressekonferenz verkündete Habeck sogar, dass ein unterjähriges Embargo russischen Öls handhabbar geworden ist, da dessen Anteil inzwischen nur noch bei 12 Prozent liegt. Ein kurzfristiger Lieferstopp ist somit realistisch und die Suche nach Alternativen für die letzte deutsche Raffinerie in Schwedt, die mit russischem Öl beliefert wird, ist Aufgabe der nächsten Tage.

 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht allerdings davon aus, dass Deutschland noch bis Mitte 2024 benötigt, um von russischem Gas (Importvolumen: rund 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr) unabhängig zu werden. Nach einer Studie des DIW könnte Deutschland sogar noch in diesem Jahr von russischem Erdgas unabhängig werden. Dafür wären aber tiefgehende Einschnitte bei der Industrie und viele weitere ambitionierte Maßnahmen nötig. Als kurzfristige Maßnahmen schlägt das DIW so beispielsweise vor:

 
  • Deutliche Ausweitung der Erdgasimporte aus klassischen Lieferländern wie Norwegen oder den Niederlanden - einzig durch mehr Importe aus dem skandinavischen Land könnten etwa ein Fünftel der bisherigen russischen Erdgas-Importmengen eingespart werden.

  • Stärkerer Bezug über die bereits vorhandenen ausländischen LNG-Terminals in den Niederlanden (Rotterdam), Belgien (Zeebrugge) und Frankreich (Dunkerque), um mehr Flüssiggas über das europäische Pipelinenetz nach Deutschland zu leiten. Etwas mehr als ein Viertel des russischen Imports könnten somit ersetzt werden.

  • Weitere Entspannung durch eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Pipelinesystems, welches Deutschland mit Südeuropa verbindet und wo Lieferungen von nordafrikanischen Ländern wie Algerien und Libyen eingekoppelt werden.

 

Ein in diesem Szenario eingeplantes zusätzliches Angebot wird allerdings auch nach Angaben des DIW nicht ausreichen, um die gesamten bisherigen russischen Erdgasimporte zu ersetzen. In Kombination mit einem rückläufigen Erdgasverbrauch könne die deutsche Energieversorgung jedoch gesichert werden. In dieser Hinsicht führt das DIW weiterhin auf, dass 18 bis 26 Prozent der russischen Importmengen an Erdgas entfallen könnten, wenn auf den Einsatz von Erdgas in der Stromerzeugung verzichtet werden könnte. Hierfür sollen alternative Energieträger eingesetzt werden. Realistisch gesehen, ist in diesem Szenario allerdings ebenfalls eine übergangsweise stärkere Auslastung von Kohlekraftwerken notwendig, welche später nach und nach durch den Zubau erneuerbarer Energien vom Netz genommen werden könnten.

 

Um einen wirklich vollständigen Verzicht von russischen Erdgasimporten zu schaffen, sind jedoch laut Aussagen der Expertinnen und Experten des DIW weitere Einsparungen notwendig, die dann unweigerlich auch zu einem Produktionsrückgang in der Industrie führen würden. Ob dieser Vorschlag bei einer ohnehin angespannten Liefersituation in vielen Branchen und dem zwingenden Bedarf an Schlüsselkomponenten, die auf Erdgas basieren, durchzusetzen ist, darf bezweifelt werden. Auch entsprechende Folgeauswirkungen in den Lieferketten wären zu befürchten. Selbst bei einer Entschädigung der betroffenen Branchen, welche vom DIW in diesem Zusammenhang vorgeschlagen wird, kann angenommen werden, dass dieser Schritt auf großen Widerstand treffen und praktisch schwierig umzusetzen sein würde.

 

Schnell umzusetzende Energiesparkampagnen wären aber darüber hinaus auch in privaten Haushalten notwendig, um die gewünschte Unabhängigkeit von Russlands Energiereserven zu schaffen. So fordert das DIW „Darüber hinaus müssen jetzt rasch Maßnahmen umgesetzt werden, die die Energieeffizienz steigern und den Umstieg auf erneuerbare Wärme (in Verbindung mit Wärmepumpen) erleichtern“. Dass der geäußerte Wunsch zur schnellen Umsetzung der Energiewende nicht immer mit einer ebenso raschen Umsetzung einhergeht, wird allerdings auch mit Blick auf die (über-)vollen Auftragsbücher von Heizungsinstallateuren, Elektrohandwerksunternehmen und Solarinstallationsunternehmen in letzter Zeit mehr als nur Branchenkennern immer deutlicher. Das Tempo zur Realisierung der politisch gewollten Veränderungen ist schlussendlich praktischen Beschränkungen unterworfen, welche nicht nur in personellen und materiellen Engpässen, sondern in Deutschland durchaus auch vielfach in Form von bürokratischen Hindernissen existieren.

 

Vor diesem Hintergrund werden nicht vorhandene oder nicht in ausreichendem Umfang vorhandene Alternativen für den Gastransport aus anderen Ländern zumindest kurzfristig den Flaschenhals einer gewünschten Reduzierung der Versorgungsabhängigkeit gegenüber Russland darstellen.

Unser Kommentar

Deutschlands Versorgungsstrukturen mit fossilen Energieträgern sind kaum diversifiziert und können mit Blick auf die aktuelle Situation auch als alles andere als krisenfest bezeichnet werden. Insgesamt steht Deutschland vor der Situation, dass es eine kurz- bis mittelfristige Reduzierung der Energieabhängigkeit von Russland nur erreichen kann, wenn ausfallende Energieimporte entweder durch alternative Versorgungsquellen, Kraftstoffverlagerung und wirtschaftliche Umverteilung oder durch Nachfragereduzierung kompensiert werden. Die Substituierbarkeit ist je nach Energieträger unterschiedlich einfach umzusetzen, wodurch auch die oben beschriebenen Strategien kurz- und langfristig von unterschiedlicher Bedeutung sein werden. Für eine unmittelbare Auswirkung auf Russlands Staatsfinanzen, die auch mit der Hoffnung eines Einlenkens des Kreml im Ukraine-Konflikt verbunden ist, muss ein Stopp der Importe aus Russland durch alternative Energiequellen aus anderen Ländern und inländischen Quellen kompensiert werden, um die Nachfrage nach Strom, Verkehr, Heizung und Industrie zu decken. Daneben besteht in Teilen die Möglichkeit zur Substitution der energieintensiven Produktion bestimmter Produkte durch Direktimporte dieser. Offensichtlich ist aber, dass ein radikaler Stopp der Importe vom russischen Energieträger Erdgas alles andere als wahrscheinlich erscheint. Mittel- und langfristig können allerdings die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien und Verbesserungen der Energieeffizienz erheblich dazu beitragen, den Bedarf an fossilen Energien zu senken. Die energiewirtschaftlichen Verwerfungen, die mit immensen Kostensteigerungen bei fossilen Energieträgern einhergegangen sind, zeigen, dass disruptive Veränderungen global wirken und Nationen mit hohem Anteil an erneuerbaren Energien im Energiemix Wettbewerbsvorteile haben.

 

Die oftmals gegenüber erneuerbarer Energieträger aufgeführten Nachteile in der Versorgungssicherheit sind im aktuellen geopolitischen Spannungsfeld dabei längst als überholt anzusehen. Ganz im Gegenteil – die derzeitige Situation zeigt, dass eine politische Ausrichtung, die mit einer starken Abhängigkeit von fossilen Energieträgern einhergeht, kein ökonomischer Vorteil ist, sondern im Krisenfall die wirtschaftliche Stabilität einer bedeutenden Industrienation wie Deutschland ins Wanken geraten lassen kann. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bietet schlussendlich die Möglichkeit zur kostengünstigen, binnenländischen Energieerzeugung. Einhergehend mit einer gesteigerten Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern des Weltmarktes ist dies somit schlussendlich ein globaler Wettbewerbsfaktor mit hohem Einfluss auf die Wohlstandswahrung. Deutschland sollte die aktuelle Krise am Rande Europas zum Anlass nehmen die bisherigen Anstrengungen auf den Prüfstand zu stellen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien mit Konsequenz zu forcieren.

Unser Angebot

Unternehmen, Kommunen und Privatpersonen können ihren Anteil an dieser Herausforderung leisten, in dem sie Energieeinsparpotenziale durch Modernisierungen ihrer technischen Anlagen und Gebäude erschließen und Erneuerbare Energien zur eigenen Energieerzeugung beziehen.

 

Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, machen Sie sich unabhängiger von fossilen Energieträgern und leisten Sie damit einen sichtbaren Beitrag zum Klimaschutz.

 

Unser Team hilft Ihnen gerne bei der Verbesserung der Energieeffizienz und bei dem Einsatz von Erneuerbarer Energien.

Haben Sie noch Fragen oder benötigen Sie unmittelbar Unterstützung? 

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